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29.09.2020
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Obwohl ich im vergangenen Herbst auf La Palma, einer der kanarischen Inseln, einen Tandem Paragliting Flug gewagt hatte, fühlte sich allein das Zuschauen des Fallschirmsprungs ganz anders an. Der Tandempilot erklärte mir in einem aufschlußreichen Gespräch, es ginge ihnen besonders um den freien Fall, bevor der Schirm aufgeht. Das leuchtete mir ein, denn das kommt beim Paragliting nicht vor.

Der freie Fall - Abenteuer - Ungewißheit - Mut - Urvertrauen - Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten - sind die Schlüsselworte, die mir spontan dazu einfallen.  Übertragen auf das Leben, denke ich, dürfen wir immer wieder den freien Fall üben. Jedesmal, wenn etwas Neues begonnen wird, etwas Unbekanntes auftaucht, und wir nicht wissen, wie es sein wird, dürfen wir uns fallen lassen - ohne zu wissen, wie es ausgeht. Oder ausgehen könnte, das sind reine Spekulationen. Ob es im Beruf, in der Familie, in Beziehungen, usw. geschieht, spielt keine Rolle. Wichtig ist die Bereitschaft und der Wille, es zu tun. Sich hineinfallen lassen in das Neue braucht Mut zur Veränderung.

Wir sind oft zu mehr fähig, als wir uns zutrauen. Das, was hindert, sind meist die Enttäuschungen aus vergangenen Erfahrungen, die gescheitert sind.  Mut, sich auf das Neue einzulassen, diesmal ist es anders.

Ja, das fühlt sich gerade gut an, ich spüre eine Wärme in meinem Herzen. Das ist für mich das Zeichen, ja, das ist meine Wahrheit. Hm, ich glaube, ich wage auch mal einen Tandemfallschirmsprung.

 Zwei Tage später kam mir der Impuls, du könntest wieder mal zur Ruine Rotenhan fahren und dich dort auf den Felsen setzen. Au ja, eine gute Idee. Da ich sowieso in der Nähe zu tun hatte, bot sich die Gelegenheit an. Unter der Woche triffst du bestimmt niemand dort, dachte ich. Die Ruine Rotenhan ist für mich ein besonderer Kraftort. Ein Ort, an dem ich alles Belastende loslassen kann und mich klärt. Gleichzeitig füllt es mich mit der Kraft der Erde auf. Gelegentlich biete ich meditative Gruppenwanderungen dorthin an.

So, von wegen keiner da, denkste, Pustekuchen. Ups, der Parkplatz war fast voll. Auf jedem Felsen kletterten sie herum. Schnurstraks ging ich schnellen Schrittes hoch auf meinen Lieblingsplatz, dem kosmischen Felsen, und setzte mich an den Felsrand. Die Füsse baumelten herunter und es bot sich ein wunderbarer Überblick über das ganze Treiben dort. Interessant. Ein paar Meter von mir entfernt ließ sich ein junges Pärchen nieder, das sich im Kniffelspielen vergnügte. Auf dem Männerfelsen saßen drei Leute, die das wohl einmal ausprobierten. Unter mir vernahm ich das Gezeter eine älteren Mannes, der mit Frau und Hund, naja Schoßhündchen, unterwegs war. Lauthals beschwerte er sich, er habe sich mehr erwartet als nur ein paar einfache Felsen. So ging es eine ganze Weile zu, die Frau versuchte ihn zu beschwichtigen. Keine Chance, sie zogen schließlich von dannen. In mir schmunzelte es, meine innere Stimme meldete sich zu Wort und sprach: "Du Narr, siehst du nicht die Schönheit dieses Ortes, der Felsen, der Bäume, die Sonnenstrahlen, die durch die Bäume blitzten? Spürst du nicht die Kraft? Mit Blindheit bist du geschlagen vor lauter Gezeter."

Kaum zu Ende gedacht, tauchte eine Gruppe älterer Radwanderer auf. Sie boten einen flotten Anblick in ihrer sportlichen Ausrüstung. Ein Mann blickte zu mir hoch und ich grinste ihn freundlich an. Die Frauen drängten ihn zum Weiterfahren, er wäre meinem Anschein nach noch gerne geblieben. Keine Zeit zum Verweilen, wie so oft im Leben. Dabei hatte ich geglaubt, im Rentenalter hätten sie doch Zeit. Da habe ich mich wohl getäuscht. Keine Zeit zum Innehalten. Ist schon komisch, wo doch die Lebenszeit so kostbar ist. Zu guter Letzt blieb nur noch das junge Pärchen und ich übrig. Welch Stille. Sie war fast zu hören. Kein Geschnatter, kein Geschwätz mehr. Ausatmen. Ankommen in mir. Wunderbar.

Bevor ich mich wieder auf den Weg machte, unterhielt ich mich mit dem jungen Pärchen. Ich erklärte ihnen die mystische Bedeutung der einzelnen Felsen. Sie hörten interessiert zu und nahmen dankbar an, was ich ihnen erzählte. Der junge Mann meinte, er könne die männliche Kraft des Männerfelsens gerade gut brauchen in seiner Lebenssituation und wolle gleich hochklettern. Voll erfüllter Freude fuhr ich nach Hause, ließ nochmal Revue passieren, was mir die Begegnungen gezeigt hatten. Ja, laß die Alten ziehen und gib dein Wissen an die Jungen weiter, denn sie sind die Zukunft. Das gefällt mir. Zu guter Letzt fiel mir noch ein Satz meines Großvaters ein, der mit seinen fünfundsiebzig Jahren noch sagte: "Was will ich mit den alten Leuten, von denen lerne ich nix". Danke Opa.

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